Rennewart: Eine schillernde & rätselhafte Figur
Der sarazenische Küchenjunge am Hof des französischen König Louis ist eigentlich ein Kind Terramers und ein Bruder Arabels/Giburgs, die von dessen Verwandtschaft aber lange Zeit mehr ahnt als weiß. Als Kind wurde Rennewart von Händlern entführt, die ihn an Louis Hof vermittelten – in ihm spiegelt sich deutlich die schicksalhafte Verbundenheit der Franzosen mit den Sarazenen wider.
Rennewart fühlt sich allein gelassen und von seiner sarazenischen Verwandtschaft verraten, die jedoch nichts von dessen Schicksal weiß. Obwohl er sich nach ihr sehnt, hasst er sie gleichzeitig, so dass er sich nach außen hin loyal gegenüber seinen christlichen Dienstherren gibt – so loyal, dass er als Willehalms späterer Knappe schließlich sogar dessen letzte Schlacht für die Christen und gegen seine eigene Verwandtschaft entscheidet.
Es gehört zu den Paradoxien der Rennewartfigur, dass er genau hier in tiefe Schuld gerät. Rennewart ist ungewöhnlich schön und groß, aber von unbeherrschter Kraft. Viele Male lässt ihn sein Jähzorn als Unmensch erscheinen, beispielsweise, als er den Küchenmeister auf barbarische Art und Weise umbringt:
„Giburgs Küchenmeister ist müde und hat schlechte Laune. Als er Rennewart noch friedlich an einer Wand schlafen sieht, nimmt er kurzerhand einen glühenden Holzscheit vom Feuer, um ihn damit unsanft zu wecken – so unsanft, dass er dabei dessen junges Barthaar ansengt und einen Teil des Mundes verbrennt.
Zu Tode erschrocken springt Rennewart auf. Als er begreift, was passiert ist, wird er bitterböse. Er packt sich den mürrischen Küchenmeister, schnürt ihn wie ein Schaf an allen Vieren mit einem Seil zusammen, und wirft ihn unter einen Kessel in die starke Glut. Hals über Kopf flüchten die anderen Köche hinaus. Ihr Meister verbrennt unter großen Qualen, doch Rennewart schüttet nur noch mehr Glut und Kohlen über ihn.“
Aus: „Willehalm und Arabel“, S. 134
In seiner Einfältigkeit und "tumpheit" wird Rennewart auch gerne mit dem jungen Parzival verglichen. Dennoch – seine Herkunft zeigt auch seine andere Seite auf, sein Streben nach ritterlicher Ehre und Minne, die sich in seiner zarten Verehrung und Liebe zu Alice, der Tochter König Louis, ablesen lässt – mit ihr verbrachte er ehemals schöne Kindertage am Hof ihres Vaters, bis dieser ihn aufgrund seiner Weigerung, die Taufe anzunehmen, zum Küchenjungen degradierte.
Bis zum Schluss der Erzählung bleibt die Figur des Rennewart rätselhaft – nicht zuletzt, weil weder der trauernde Willehalm noch ein anderer am Ende wissen, was aus dem emotional aufgewühlten, heroisch kämpfenden Jungen in der Schlacht geworden ist.
Bildquelle: Das Bild war eines der Coverentwürfe zu "Willehalm und Arabel": ©Florian Winkler
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