Christen und Muslime im Hochmittelalter: Ein Buch mit sieben Siegeln?

Was wussten Christen und Muslime im Hochmittelalter eigentlich voneinander? Und kannte Wolfram von Eschenbach den Koran?

Was wussten Christen und Muslime im Hochmittelalter eigentlich voneinander?

Wie es Wolfram in seinem "Willehalm" beschreibt, wussten zumindest die Christen offenbar erstaunlich wenig vom Islam. Schon bei den Gottheiten erzählt Wolfram Legendäres zuhauf. So sind im "Willehalm" "Mohammed", "Tervagant" und "Apoll" das fiktive Göttertrio, das er am häufigsten erwähnt. Selten nennt er auch noch einen „Kahun“ als weiteren Gott. Auf den Götterkarren der Sarazenen ziehen sie, abgebildet auf kostbaren Fahnen, mit in die Schlacht und begleitet von Arabels Vater, dem höchsten Heerführer Terramer - allein diese Vorstellung erscheint heute durch das islamische Bilderverbot als recht absurd. Tatsächlich war die vorislamische, altarabische Religion eine polytheistische Religion, in der auch weibliche Gottheiten ihren Platz hatten - vielleicht nahm man deshalb auch noch zu Zeiten Wolframs an, dass der Islam mehr als nur einen Gott verehrt.

Im Mittelalter glaubte man zudem, dass Mohammed von den "Heiden" als Gott verehrt wird, nicht, dass er nur ihr Prophet ist. An seiner Existenz und an die der anderen Götter Apoll (ursprünglich hoher olympischer Gott der Griechen und Römer) oder Tervagant zweifelte man jedenfalls nicht, sondern fasste sie als Dämonen, als real existierende Ausgeburten des Teufels auf - ebenso wie die Sarazenen an die Existenz des christlichen Gottes glaubten, die Christen aber dennoch ebenso als "Ungläubige" diffamierten. Die historischen Sarazenen waren auf jeden Fall bereits Muslime und damit Mohammed ihr Prophet, nicht ihr Gott, und "Allah" wurde als höchster Gott sogar schon in vorislamischer Zeit verehrt.

Die Priester beider Religionen spielen im "Willehalm" eine zentrale, wenn auch in der Forschung offenbar bisher kaum beachtete Rolle. Bei den Franzosen sind sie die natürlichen Begleiter der Schlachten, die eigenhändig mithelfen, den Rittern die Kreuze an ihr Gewand zu heften - eine Art frühe "Militärseelsorge". Und auch der sarazenische Großkönig Terramer schiebt seinen geistlichen Beratern die Hauptschuld an dem unseligen Kampf gegen seine eigene Tochter zu, als er zu ihr sagt:

"Mohammed ist mein Zeuge: Als Tibalt mich darum bat, gegen dich zu ziehen, habe ich lange gezögert. So lange, bis mich unsere Priester im Namen unseres heiligen Gesetzes beschworen, es doch zu tun. Ich müsse dich töten, um meine Sünden zu tilgen, haben sie mir gesagt ..."

Aus: "Willehalm und Arabel", S. 105/106
(Kapitel "Der Angriff auf Orange" - übrigens ein Kapitel, das einen höchst interessanten und unterhaltsamen theologischen Disput zwischen Arabel und ihrem Vater enthält.)

Kannte Wolfram den Koran?
In Europa wurde der Koran erst durch eine lateinische Übersetzung bekannt, die der cluniazensische Abt Petrus Venerabilis 1143 von dem Engländer Robert von Ketton, dem getauften Juden Petrus Alfonsi, dem Mönch Hermann von Carinthia und dem Sarazenen Mohammed in Spanien, in der Übersetzerschule von Toledo, anfertigen ließ. Diese Übersetzung wurde erstmals 1543 in einer Bearbeitung des Zürcher Theologen Theodor Bibliander in Basel gedruckt - ob Wolfram je die erste, frühe lateinische Koran-Übersetzung in den Händen hielt, wissen wir nicht - aber da er ja damit kokettierte, weder richtig Französisch zu können oder gar Latein zu beherrschen, können wir nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, ob er diese überhaupt hätte lesen können.

 

Bildquelle: Apokalyptisches Lamm auf dem Buch mit sieben Siegeln, Johann Heinrich Rohr, um 1775

 

Zurück