Arabel-Giburg: Eine moderne Frau und Ritterin?

Wie verhält es sich eigentlich mit dem Frauenbild im "Willehalm"? Es ist erstaunlich modern, zumindest, was den eigenen Mut zur Selbstverteidigung und zur eigenen Meinung angeht.

Giburg/Arabel - eine der vielseitigsten Frauengestalten der mittelalterlichen Literatur

Die Figur der Arabel/Giburg wird in Greenfield und Miklautschs Einführung zu "Willehalm" als "eine der vielseitigsten Frauengestalten der mittelalterlichen Literatur" bezeichnet. Sie sei alleine schon deshalb vielseitig, weil sie mehrere Rollen einnehme, die teilweise über die traditionellen Frauenrollen hinausgingen.

Im Gegensatz zur altfranzösischen Vorlage erweiterte Wolfram Giburgs Rolle von der ritterlichen Verteigerin der Burg in Orange hin zu der einer selbstständig handelnden und sprechenden Frau: genannt seien nur die kompetent und auf Augenhöhe geführten Religionsgespräche mit ihrem Vater Terramer oder ihre berühmte Toleranzrede vor dem Fürstenrat (siehe Artikel: ...) - beides für diese Zeit sehr unkonventionelle Vorgänge und Handlungen für eine Frau, in denen ihre schärfsten Waffen, ihre Liebes- und Leidensbereitschaft, ihr Wissen und ihr Glaube, zum Tragen kommen. Darüber hinaus zeigen auch die beiden Liebesszenen mit Willehalm, dass sich die ehemalige sarazenische Königin nicht mit ihrer typisch weiblichen Rolle als brav-passives Sexualobjekt begnügt.

Darüber, ob sich Arabel in Arabien ihren Willehalm selbst gewählt hat oder ob sie von ihm "mitgenommen" wurde, herrscht interessanterweise ebenfalls kein Konsens in der Sekundärliteratur - ich tendiere zu ersterer Annahme, denn schließlich befreite Giburg laut Wolfram nicht nur den christlichen Ritter eigenhändig von seinen Ketten, sondern floh auch mit ihm offenbar völlig freiwillig in die Provence.

"Willehalm und Arabel" - Giburg als treibende Kraft der Geschichte

Der Titel der Neuerzählung "Willehalm und Arabel" wurde daher auch bewusst gewählt: Die einseitige Fokussierung und Verherrlichung des Helden Willehalm sollte bereits schon im Titel aufgebrochen werden, und die zentrale Rolle und Bedeutung Giburgs für Willehalm und den Verlauf der Geschichte dabei deutlich werden: Ohne Giburg gäbe es den Willehalm'schen Konflikt schlichtweg nicht, womit sie "neben Willehalm die wichtigste Gestalt der Dichtung" (s.o.) ist.

Die Erzählung gibt die ursprüngliche Geschichte Wolframs werktreu wieder, und befreit sich durch die Weglassung seiner privaten Kommentare außerdem von dessen zeittypischem, männlichen Blick, der beispielsweise in diesen (gleichwohl humorvoll zu deutenden) Versen deutlich wird:

"Im Fenster lag die Königin und ließ sich so Gesellschaft leisten: des Markgrafen Umarmung drückte sie oft an seine Brust. Lange hatte sie's entbehrt und sich doch sehr danach gesehnt. Ich hätte mich erschrocken, hätte ich eine Frau so wehrhaft gesehen. Es wird mir schon nicht leicht, ehrenvoll davonzukommen, faß ich eine Frau an, die ungewappnet ist." (Willehalm, Buch V., 242-244)

In zahlreichen Versen lässt Wolfram diesen männlichen Blick poetisch schweifen, so etwa auch sehr deutlich in seiner Beschreibung der jungen Alice:

"Sie war so wunderschön, dass sie einen Mann, dessen Glück darniederlag, dazu bringen konnte, wieder hochgemut zu sein. Nicht zu flach und nicht zu üppig waren ihre Brüste. Niemand konnte ihr feind sein. Sie war der Wunsch der Wünsche für den Wünschenden und ein Vorbild dem, der Freude schenken wollte."
(Willehalm, Buch III., 155-156)

Entscheidend für die zentrale und herausragende Rolle Giburgs in der Geschichte aber ist deren Einfluss auf Willehalm: 

"Er wagte beide Tode (der Seele und des Leibes) aus Liebe zu einer Frau kam er oft in Herzens-Leid."
(Willehalm, Buch I., 2-3)

... und auf den Beginn des Krieges zwischen den Christen und Sarazenen:

"Arabel-Giburg, Frau mit den zwei Namen, deine Liebe und dein leben verflicht sich jetzt mit Leid. Du kannst nur verlieren: deine Liebe bringt den Christen Tod; und diese müssen deine Verwandten töten."
(Willehalm, Buch I., 29-30)

Um des Frauenlohnes wegen entspinnt sich nach Wolframs Lesart ein Konflikt, der schwerer nicht sein könnte - und der Giburg gleichzeitig als Täterin wie als Opfer erscheinen lässt - die Liebe zwischen zwei Menschen, die aus verschiedenen Herrschaftsbereichen und Kulturen stammen, ist von Anfang an eine tragische. So wirkt die Figur der Giburg zwar an vielen Stellen modern und autonom, sie selbst als auch ihr geliebter Willehalm bleiben jedoch in ihren Lebenswelten und ihrer Vergangenheit gefangen und verstrickt.

Giburgs Rolle als moderne Ritterin

Als die sarazenische Königin Arabel, nun "Giburg" und Frau Willehalms, in Orange während der Abwesenheit Willehalms (der den französischen König um Unterstützung im Kampf gegen die Heiden gewinnen will) alleine auf der Burg festsitzt, wird sie zur Ritterin, die die Burg Glorjet in Orange mit Armbrust und einiger Finesse verteidigt - sie stellt tote Soldaten als Atrappe auf den Zinnen auf, um ihre Angreifer abzuschrecken. Auch ihre neue Schwiegermutter Irmschart, die Mutter Willehalms, verspricht ihrem Sohn später noch im hohen Alter: "MIt Schwertern will ich um mich haun!"

Die Anerkennung, die aus solchen Sätzen Wolframs spricht, bedeutet aber nicht, dass sich hier eine völlige Gleichstellung der Geschlechter vollzogen hätte - vielmehr wird deutlich, dass die Frauen zwar in Notsituationen bereit sind, männliche Rollen zu übernehmen, dass sie diese, sobald sie nicht mehr gefragt sind, jedoch gerne wieder abgeben - die "wipheit", also Ehre der Frau, ist niemals eine, die sie unabhängig von ihrem Mann, der Sippe oder ihrer Religion für sich selbst definieren könnte.

Zitate aus: John Greenfield, Lydia Miklautsch: Der "Willehalm" Wolframs von Eschenbach. Eine Einführung

Lesetipp "Die Ritterin - ein moderner Mythos?"

Tatsächlich hat Wolfram in seinen Beschreibungen der ritterlich agierenden Giburg nicht nur seinen eigenen Phantasien Raum gegeben, sondern Szenarien geschildert, die es so oder in ähnlicher Weise tatsächlich gegeben hat. Einen spannenden Artikel von Ruth Omphalius dazu hat das ZDF/Terra X eingestellt, den ich hier gerne wiedergebe:

"Schaut man sich moderne Verfilmungen mittelalterlicher Stoffe an, so findet man die Filmwelten bevölkert von wilden Ritterinnen in Kettenhemd oder sogar in Vollpanzerung. In Ridley Scotts Ver­sion von "Robin Hood" kämpft Cate Blanchett in der Rolle der Maid Marian Seite an Seite mit ihrem Helden. King Arthur staunt nicht schlecht, als seine Zukünftige, die schöne Guinevere Keira Knightley zu Pfeil und Bogen, Schwert und Dolch greift. Und so­gar die zarte Kristen Stewart streitet in "Snow White and The Huntsman" im schweren Eisen-Outfit. So manch einem Zuschauer mag da der Verdacht kommen, dass die Fantasie der Autoren mit ihnen durchgegangen ist. Wer hat schon je von Ritterinnen ge­hört? Im Duden ist der Begriff überhaupt erst seit Kurzem vermerkt.
Tatsächlich findet sich in der historischen Forschung wenig über schwerterschwingende Frauen. Einzig die "Jungfrau von Orleans" ist immer wieder einmal Objekt wissenschaftlicher Betrachtung. Diese Quellenlage überrascht, wenn man bedenkt, dass Literatur eine ganze Reihe von Ritterinnen oder zumindest ritterlich agierenden Frauen gibt. Die bekannteste un­ter diesen Frauengestalten ist sicherlich die nahezu unbezwing­bare Brünhild aus dem Nibelungenlied, die die Herren Ritter im Zweikampf das Fürchten lehrte. Aber es gab noch andere. Der Dichter Wolfram von Eschenbach beispielsweise schuf in seinem Roman "Willehalm" die Figur der Gyburg, die mit Armbrust und Schwert die heimische Burg verteidigt. Eine regelrechte mittelal­terliche Amazone ist Bradamante, die gleich in mehreren Dich­tungen im Dienste Karls des Großen gegen die Heiden kämpft. Hatten etwa auch die mittelalterlichen Autoren schon eine zu aus­schweifende Fantasie?
Welchen Grund allerdings sollten die mittelalterlichen Dichter ge­habt haben, solche Figuren zu erfinden, wenn das Ideal der Frau ganz anderes aussah. Sollte es doch reale Vorbilder gegeben haben?
Im Verlauf der Recherche zu "Die Welt der Ritter" stießen wir auf einige überraschende Fakten. So stiftete beispielsweise Graf Raimund von Barcelona um 1150 den Ritterinnenorden "Die Damen von der Axt". Diesen martialischen Namen trugen die Rit­terinnen nicht ohne guten Grund, hatten sie doch die Stadt Tortosa während einer Belagerung erfolgreich und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Mauren verteidigt. Andere Ritterorden nahmen sowohl Männer als auch Frauen auf. Der be­rühmte englische „Hosenbandorden“ hatte in seinen Anfangsjah­ren auch weibliche Mitglieder. Aus dem Jahr 1488 ist ein Nachweis über 64 Ritterinnen erhalten, die dem „Hosenband­orden“ angehörten.
Eleonore von Aquitanien nahm 1146 das Kreuz und begleitete ihren Ehemann, den französischen König, Ludwig VII, bei einem Kreuzzug. Ob sie dabei auch Rüstung trug, ist nicht überliefert. Zumindest führte sie die Edelleute aus ihrer Territorialherrschaft an, die Ludwig selbst nicht zum Vasallendienst verpflichtet waren. Bekannt wurde sie allerdings eher als "Königin der Troubadoure". Eine andere Adlige, Gräfin Margarete von Tirol, soll sogar mit ih­ren Truppen eine Burg belagert haben. Die Bewohner der Burg Hochosterwitz sollen nur durch eine List dem überlegenen Heer der Gräfin entkommen sein. Heute halten einige Forscher die Belagerung für eine reine Sage. Allerdings gingen Historiker zu allen Zeiten nicht gerade freundlich mit Margarete von Tirol um. Schon wenige Jahre nach ihrem Tod nannte man sie "Margarete Maultasch" und dichtete ihr eine Menge schlechter Eigenschaften an. Mittelalterliche Quellen sind bei der Frage nach den Ritterin­nen also nicht unbedingt als neutral zu bezeichnen.
Ein ganz außergewöhnliches Zeugnis stellt in diesem Zusammen­hang das Fechtbuch des Hans Talhoffer aus dem Jahr 1467 dar. Der Autor, ein Söldner und Fechtmeister, hat eindeutig keine ide­ologischen Motive für sein Werk. Er schreibt keine Geschichte, sondern möchte schlicht Anleitungen für den Zweikampf vor Ge­richt geben. Umso wichtiger erscheint daher die Tatsache, dass er ein ganzes Kapitel dem Zweikampf Frau gegen Mann widmet. Ganz präzise und detailliert erklärt er hier der Kämpferin, wie sie sich vor Angriffen schützen und ihren männlichen Gegner schließlich besiegen kann."

http://www.zdf.de/…/die-ritterin-ein-moderner-mythos-jeanne…

Bildquellen:

Willehalm und Arabel

Giburg/Burg

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