Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen

Auch im Willehalm dreht sich vieles um Askese und Völlerei, zwei Seiten einer wichtigen Medaille - dem Essen und Trinken.

Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen: der berühmte Satz des Sokrates ist aktuell wie eh und je. Dass Essen und Trinken auch im Mittelalter eine zentrale Rolle im gesellschaftlichen Miteinander spielte, zeigt die Szene aus "Willehalm und Arabel", in der Willehalm vor lauter Schmerz über die erste verlorene Schlacht und seine vermisste Frau nur noch Brot und Wasser zu sich nehmen kann:

 

"Inzwischen hat der Kaufmann die besten Speisen und Getränke gebracht, die er aufbieten kann. Vornehm und höflich trägt er sie Willehalm an einem eigenen Tischchen auf. Doch der Markgraf bittet bloß um Brot und Wasser und lässt alles stehen: den feinen, gebratenen Pfau, angerichtet mit der besten Soße, die der Hausherr jemals gekostet hat, den Fasan, die Rebhühner, den in Wein und Kräuter eingelegten Fisch und vieles andere mehr.  Es klingt ehrlich verzweifelt, als der Hausherr sagt: „Wenn es in diesem Land eine bessere Speise für Euch gäbe, ich würde reichlich davon geben! Sagt mir doch, ob Ihr etwas anderes wünscht, ich werde es gleich besorgen.“

„Lieber Gastfreund“, seufzt Willehalm, „ich kann einfach nicht mehr froh sein bis zu dem Tag, an dem ich mit Gottes Hilfe mein Gelübde aufheben kann. Bis es soweit ist, werde ich in Not und Armut leben. Ich bin Willehalm, der Markgraf der Provence. Ich habe hochgeborene Verwandte verloren und teure Vasallen, außerdem habe ich meine Frau in großer Gefahr zurücklassen müssen. Mein Herz ist dort bei ihr. Hier ist, von aller Freude getrennt, nur mein Leib. Fragt bitte nicht weiter.

“Aus: Willehalm und Arabel", S. 64

 

Die Askese, der sich Willehalm Giburg zuliebe unterwirft, zieht sich wie ein roter Faden durch die Erzählung. Gewissermaßen als Gegenentwurf zu dessen frommer Enthaltsamkeit, die sich auch im häufig zögerlichem Essverhalten der traurigen Giburg widerspiegelt - entwirft Wolfram mit der Figur des sarazenischen Knappen Rennewart einen Menschen, der sich, trotz dessen edler Herkunft als Sohn Terramers - ganz und gar seinen Leidenschaften ergibt:

 

Umgehend wird der Knappe mit Maulbeertrank und Wein versorgt, so gut wie noch nie in seinem Leben. Er trinkt viel, und auch mit den Speisen, die vor ihm stehen, stopft er sich ohne zu zögern die Backen voll. Zwischendurch kommen mehrere Knappen heran, die erfolglos versuchen, seine schwere Stange wegzuzerren. Lachend ruft Rennewart ihnen zu: „Ihr wollt mich wohl verspotten! Ich schwöre, wenn ihr mit diesen Scherzen nicht aufhört, werdet ihr es noch böse büßen! Lasst mich endlich wieder in Ruhe weiter essen.“ Gesagt, getan, Rennewart isst und trinkt weiter, als gäbe es kein Morgen. Aber der Junge ist das starke Trinken nicht gewöhnt und bekommt schlechte Laune, ohne es zu wollen.

Aus: Willehalm und Arabel, S. 130/31

 

Auch nach der letzten Schlacht ist das maßlose Essen und Trinken eine Möglichkeit, der Wirklichkeit zu entrinnen:

"Ausgezehrt plündern sie die reichen Essensvorräte ihrer Feinde und stürzen sich durstig auf deren guten Wein.

Inzwischen ist die Nacht angebrochen. Viele trinken bis zur Besinnungslosigkeit, um den Sieg zu feiern. Aber auch Schmerz und Trauer rufen danach, betäubt und vergessen zu werden."

Aus: Willehalm und Arabel, S.186

Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen - allerdings erst, so zeigen diese Textstellen, wenn die Seele nicht mehr leidet, und damit Leib und Seele wieder im Einklang miteinander stehen können.

 

Bildquelle: Tafeldarstellung im Psalmenkommentar des Petrus Lombardus, Bayern, letztes Viertel 12. Jhdt (Msc.Bibl.59, fol.2v).

 

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